Wenn Analyse zur Schuldzuweisung verkommt
Die Lausitzer Rundschau greift die Aussagen des IHK-Chefs auf und zeichnet ein einseitiges Bild: Der wirtschaftliche Niedergang der Region wird fast ausschließlich mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit erklärt. So einfach, so eingängig – und doch so verzerrend.
Ja, Fremdenfeindlichkeit kann ein Standortnachteil sein. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache: In Brandenburg wurden 2024 rund 1,8 Millionen Straftaten registriert, davon gerade einmal 113 rechtsextrem motivierte Gewalttaten – ein Anteil von 0,0062 Prozent. Aus solch geringen Werten eine ganze Region pauschal als „rechtsradikal“ abzustempeln, ist nicht seriös, sondern Stimmungsmache.
Hinzu kommt die sprachliche Schieflage im Bericht: Wenn dort steht, „die AfD habe Stimmen zur Bundestagswahl eingesammelt“, wird unterschlagen, dass 40 bis 60 Prozent der Wähler ihre Stimme der AfD freiwillig gegeben haben. Niemand hat sie „eingesammelt“ – die Bürger haben gewählt. Die Formulierung suggeriert, Wähler seien verführte oder willenlose Objekte, und konstruiert eine Verbindung zwischen AfD und Rechtsextremismus, die so pauschal nicht zulässig ist.
Noch schwerer wiegt: Gerade die permanente mediale Fokussierung auf angebliche Fremdenfeindlichkeit schadet der Wirtschaft selbst. Wenn eine Region öffentlich immer wieder als Problemfall dargestellt wird, dann schreckt das potenzielle Investoren und Fachkräfte mindestens genauso ab wie tatsächliche Einzelfälle von Feindseligkeit. Statt Vertrauen in den Standort zu stärken, wird das Image der Lausitz durch pauschale Stempel systematisch beschädigt.
Zudem werden die wahren Ursachen der wirtschaftlichen Schwäche ausgeblendet: hohe Energiepreise, Steuerlast, lähmende Bürokratie, Fachkräftemangel durch Demografie, marode Infrastruktur und globaler Konkurrenzdruck. All das trifft Unternehmen täglich – und doch verschwindet es hinter einer moralischen Debatte, die bequem ins Schema passt.
Die Lausitzer Rundschau trägt mit ihrer unkritischen Wiedergabe dazu bei, dieses verzerrte Bild zu verstärken. Doch verantwortungsvoller Journalismus muss differenzieren, nicht vereinfachen. Die Menschen in der Lausitz verdienen eine ehrliche Analyse ihrer Probleme – keine pauschalen Schuldzuweisungen, die die Region zusätzlich schwächen und ihr wirtschaftliches Potenzial untergraben.
Neutralität oder Parteinahme?
IHK-Geschäftsführer Fritsche betont in der Lausitzer Rundschau, die Kammer müsse politisch neutral bleiben. Ein edler Anspruch – doch die Realität sieht anders aus.Als die Mittelstandsini tiative Brandenburg, ein Zusammenschluss von über 450 regionalen Unternehmen, bereits vor drei Jahren eindringlich auf die wachsenden Probleme des Mittelstandes hinwies – steigende Energiekosten, immer rigidere Bürokratie, erdrückende Steuerlast und zunehmende Standortunsiche rheit – tat sie genau das, was man von einer unabhängigen Wirtschaftsvere inigung erwarten darf: Sie benannte Missstände und mahnte eine offene, sachliche Debatte an. Neutral, faktenorientier t und jenseits parteipolitisch er Schlagabtauschl inien.
Doch statt diesen Diskurs aufzugreifen, distanzierte sich Fritsche und mit ihm die IHK. Man zog es vor, nicht an der Seite des Mittelstands zu stehen, sondern sich in politisch opportuner Distanz zu üben. Damit wurde nicht Neutralität gewahrt, sondern eine implizite Parteinahme vollzogen – gegen die berechtigten Sorgen der eigenen Mitglieder.
Noch deutlicher zeigte sich dieses Verhalten in den vergangenen Jahren, als Bauern und Mittelständler mit massiven Protesten auf die existenzbedrohe nden Entscheidungen der damaligen Bundesregierung aufmerksam machten. Stand die IHK in dieser Situation klar und sichtbar an der Seite ihrer Mitglieder? Nein. Statt Rückhalt zu geben, duckte sie sich weg. Damit hat sie nicht nur die Chance vertan, die Stimme der regionalen Wirtschaft kraftvoll in die politische Debatte einzubringen, sondern zugleich ihre eigene Glaubwürdigkeit beschädigt.
Besonders brisant: Die Entscheidungen, die daraufhin politisch durchgedrückt wurden, fielen klar zu Lasten des deutschen Mittelstandes – jenes Rückgrats der Wirtschaft, das offiziell immer wieder beschworen, praktisch aber im Stich gelassen wird.
Die Folge dieser Haltung ist gravierend: Die IHK verliert das Vertrauen ihrer Mitglieder. Wer Neutralität predigt, aber in entscheidenden Momenten schweigt oder sich von den eigenen Unternehmern distanziert, macht sich unglaubwürdig.
Gerade in Krisenzeiten erwarten Mittelständler und Bauern eine starke Stimme ihrer Interessenvertr etung – eine Kammer, die Missstände klar benennt, politisch Druck macht und damit ihre ureigene Aufgabe erfüllt. Doch stattdessen hat die IHK in entscheidenden Momenten den Eindruck vermittelt, lieber die Nähe zur Politik zu suchen als den Schulterschluss mit der eigenen Basis.
Das ist mehr als ein taktischer Fehler. Es beschädigt die Rolle der IHK als neutrale Instanz im öffentliche n Diskurs. Denn Neutralität bedeutet nicht, zu schweigen oder sich wegzuducken. Neutralität heißt, den Mitgliedern verpflichtet zu sein, ihre Probleme sachlich und unabhängig in den politischen Raum zu tragen – auch wenn diese unbequem sind.
Wenn die IHK stattdessen eine einseitige, politisch gefärbte Interpretation bedient – wie jüngst, als Fritsche die Wirtschaftsschw äche fast ausschließlich mit Fremdenfeindlic hkeit erklärte – dann wird sie selbst zum Akteur in einer Debatte, die komplexe Ursachen verkürzt, Schuldige konstruiert und den Blick von echten Problemen ablenkt.
Die Lausitz und der brandenburgisch e Mittelstand brauchen eine IHK, die ihre Stimme ist – nicht ihr Korrektiv. Wer sich von den eigenen Mitgliedern entfernt, riskiert nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern auch die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der gesamten Region.